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(Aus Anlass des Krieges in der Ukraine, wage ich den Versuch, das im Menschen innewohnende Grauen wenigstes zu umkreisen. e.a.)

Das Internationale Institut für geistige Zusammenarbeit des Völkerbundes regte an, “Einen Briefwechsel zwischen auf geistigem Gebiet führenden Persönlichkeiten, die in hohem Masse gemeisamen geistigen Interessen und dem Völkerbund dienen, erörtert würden.”
Daraus entstand ein Briefwechsel “zwischen Prof. Albert Einstein und Prof. Sigmund Freud”, die Albert Einstein mit der Frage eröffnete:
Gibt es einen Weg, die Menschen von dem Verhängnis des Krieges zu befreien?

1933 wurde Einsteins Frage und Freuds Antwort in einem Sonderdruck von 2000 numerierten Exemplaren mit dem Titel WARUM KRIEG? veröffentlicht. (1)

Mit seinem Brief erhofft Einstein, dass Freud mit seiner vertieften Kenntnis des menschlichen Trieblebens ihm Antworten geben könnte, die ihm mit seinen geringen Einblicke in die Tiefen des menschlichen Wollens und Fühlens verschlossen blieben. –  Einstein erhält eine ernüchternde Antwort. Freud setzt den Begriff der Grausamkeit als dem Menschen innewohnend und der nicht zu überwinden sei. Doch davon später.

Wir müssen davon ausgehen, dass Freud Friedrich Nietzsche gelesen. Und der hatte  vermutet, dass hinter dem “Willen zur Wahrheit” nämlich ein ‘lebensfeindliches zerstörerisches Princip’ herrschen könnte – ‘das könnte ein versteckter Wille zum Tode sein’. 2.) Ebenso verwendet Nietzsche den Begriff Grausamkeit, immer wieder, zum Beispiel Ohne Grausamkeit kein Fest: so lehrt es die älteste, längste Geschichte des Menschen – und auch an der Strafe ist so viel Festliches. 3) Ebenso, ein weiteres Beispiel, was einem Genie passieren könnte, dass der übertladene Trieb gegen sich selber zu wüthen anfängt und seine Zähne in das eigene Fleisch schlägt. Jeweils mit dieser wiederkehrenden Schlussformel schliesst Nietzsche alle diese Beispiele ab, wie auch zum Willen zur Macht, den er damit belegt, dass die Soldaten singend in den Krieg zögen, immer mit den eigenen Zähnen... Und so ist es auch nicht mehr verwunderlich, wenn er immer betont, dass das nicht bewusst sei. Ebenso schrieb Nietzsche Denn nochmals gesagt: der Mensch, wie jenes lebende Geschöpf, denkt immerfort, aber weiß es nicht, das bewußt werdende Denken ist nur der kleinste Teil: - denn allein dieses bewußte Denken geschieht in Worten, das heißt in Mitteilungszeichen, womit sich die Herkunft des Bewußtseins selber aufdeckt (Fröhl. Wissensch. 4.)

Dann kam Freuds Entdeckung des Unbewussten – und so hat er Nietzsches ‘nicht bewusst’ einen Ort gegeben:

Das Unbewusste.

Natürlich hat es das Unbewusste vor Freud gegeben. Die Menschen wussten, dass unser  Denken und Handeln und auch Gefühle von Kräften beeinflusst und auch gesteuert werden, die dem (rationalen) Denken verborgen bleiben. Aber Sigmund Freud hat sein funktionieren erforscht und entschlüsselt an seinen Wirkungen, wir wissen darum, aber wir sind ihm unterworfen (Freud: wir sind nicht Herr im eigenen Haus), gleichzeitig aber schützt es uns auch: Eindrücke, die unsere Psyche nicht bewältigen kann, werden ins Unbewusste verwiesen, verdrängt – aber nicht ohne Wirkung: was verdrängt ist, drängt zurück ins Bewusstsein, so dass dieses eine dauernde Gegenkraft aufbringen muss, das ‘verbannte’ Verdrängte fernzuhalten: dies ist das ‘Symptom’ (und von ihm kann nicht auf das Verdrängte geschlossen werden).
Kleine Zwischenbemerkung: diese Begriffe sind so geläufig geworden, wie auch entstellt: Allüberall hören wir 'dies ist unbewusst’, obwohl nicht mitgedacht, dass dies eben nicht gewusst ist. Hat z.B. ein Sportler eine bittere Niederlage ertlitten, verkündet er gleich ‘das muss man rasch verdrängen’. Unverstanden dabei ist, dass das ‘Verdrängen’ nicht ‘gemacht’ werden kann, weil es eben kein bewusster Vorgang ist, und  was verdrängt ist nicht mehr gewusst –  zwar ‘wie’ vergessen, aber im Unbewussten gespeichert, gleichwohl für das Bewusstsein nicht zugänglich. Doch können Unbewusstes und Verdrängtes wirken – z.B. eben Symptome bilden – auch Träume gestalten.

In seiner vielleicht umwälzendsten Schrift, ‘Jenseits des Lustprinzips’ hat Freud herausgearbeitet, dass ein Bestreben des Menschen zum eigenen Tod hinziele – der sog. Todestrieb, der aber nicht bewusst sei (s.o. Nietzsche). Dies ist in die Theorie der Psychoanalyse eingegangen, wenigstens bei den  ‘traditionellen’ Analytikern, während die Heilkunden der Psychiatrie und der Psychologie kein oder kaum ein Unbewusstes mehr kennen, eher negieren, weil es unbequem ist.

Die Begriffe Todestrieb und Grausamkeit, sowohl bei Nietzsche als auch bei Freud haben keine Gegenbegriffe, sind ohne Gegenwort, sowohl bei Nietzsche in Genealogie der Moral als auch bei Freud in Jenseits des Lustprinzips (Lebenstrieb und Todestrieb). Sie sind unbedingt und ohne einen Grund, sie wirken und sind deshalb auch keiner Moral unterstellt. Doch wenn Todestrieb und Grausamkeit nach aussen gerichtet werden, so zerstören sie, töten – und damit ist der Mensch das einzige Lebewesen, das grausam ist.

Dazu: Freuds Motto zur Traumdeutung Wenn ich die Oberen nicht beugen kann, werde ich (ihnen) die Unterwelt bewegen (Flectere nequeo superos, Acheronta movebo), ist entlehnt Vergils Aeneis, wie die Göttin Juno im Zorn ausrief). Freud war wohl enttäuscht von der Gleichgültigkeit seinen Arbeiten und Entdeckungen gegenüber, denn das bewegte Unbewusste fand zögerlich Anerkennung, bis es nach langen Bemühungen in der Wissenschaft der Psyche seinen Platz gefunden hatte – und diesen gegenwärtig höchstens noch schwer behaupten kann. Warum ist das so? Der Mensch, ich Mensch, bin nicht Herr über mich – ein Teil, ein grosser gar, ist mir unbekannt. Und weil das eine Kränkung ist, wird es verdrängt – oder verleugnet.
Eine Zwischenbemerkung: Gegenwärtig arbeiten Wissenschafter (Wissen-Schaffende) daran, der Künstlichen Intelligenz das Erkennen von Gefühlen beizubringen – und sie hätten dabei schon große Erfolge zu vermelden. (Sie lernen den Computer gewisse Gesichtsausdrücke bestimmten Emotionen zuzuordnen. Nun gut – doch werden Gefühle (was sind Gefühle?) durch KI erkannt – woran, wie, womit – und auch das Unbewusste? – dann gäbe es keine Lüge mehr. Und damit auch keine Wahrheit. Aber kann KI das Leiden erkennen, kann dies gemessen werden, ist das Leiden bereits abgeschafft....?

Noch bevor wir uns dem unbequemen, schmerzenden Verdrängten zuwenden, erst zur Ursache dieses Textes:
Es ist Krieg. In der Ukraine, auf unserem Kontinent, zu nah, ihn zu ignorieren. Es ist Krieg im Jemen, in Afrika (ohne die Orte zu zählen) – in Afghanistan, Myanmar, innerhalb Ländern in Mittelamerika, in China, in Mexiko ... wer zählt sie alle? Und nun im Nahen Osten mit seiner ganzen Barbarei! Die meisten weit weg, woanders. Frauen, Ethnien werden unterdrückt – Fremdes wird bekämpft, das ist doch alles bekannt. Doch im Krieg und über dem Krieg ist eine stillere oder akzeptierte Macht am Werk, vielleicht weniger bemerkt, sind wir durchtränkt von ihr: Die territorialen Eroberungen sind noch ersichtlich, doch stiller greift die Wirtschaft nach Macht, nach Geld. Verkrallt in unser Leben, – zynischerweise mussten eben Banken gerettet werden, vom ausgelieferten Staat gerettet, derweil die Boniempfänger sich still davongemacht haben und es werden weiterhin Verpackungen in Lebensmittelgeschäften, kaum sichtbar beschriftet, weniger beinhaltend, dafür mehr kosten, in stiller Absprache mit der Konkurrenz.
 
Adorno zeichnete die Geschichte der Industrialisierung auf, begonnen als eine Arbeitserleichterung durch Maschinen, dann Produktionssteigerung zur Bedürfnisbefriedigung, usw., usw., zuletzt vorausdenkend, dass der ‘Konsument’ dereinst Teil der Produktionsmaschine geworden sei, ohne es zu merken, und so zu einem Maschinenteil zur Geldvermehrung geworden. Für wen?
Ja, wir allle sind Teil geworden, auch der Kriege gegen eine hungernde Bevölkerung, die im Winter zum Beispiel Erdbeeren liefert und das Wasser für ihre verarmenden Äcker verliert, deren Kinder unterernährt sind – derweil bei uns exotische Früchte pünktlich zur Weihnachtszeit zu Aktionspreisen gekauft werden können.

Jetzt ist der Krieg nah – wie gehen wir damit um? (Ganz zu Anfang dieses Krieges hörte ich von Schweizern, dass während ihrer Osterreise in Rom viele ukrainische Autos fahren würden – ‘und zwar teure, und Männer am Steuer sässen, die müssten doch in den Krieg!’ – dann wurden Flüchtlinge sichtbar und viele sind bei Schweizern aufgenommen worden und viel Geld wurde gesammelt. Nun wird wieder gerechnet, wird protestiert – das war alles doch so zu erwarten!
Grausam sind die Anderen – doch auch das  ‘Andere’ in uns! Dass wir nicht grausam sind, bezeugen wir uns selber, müssen wir ja: wir stellen uns auf die Seite des Guten, haben Mitleid, sind empört, wir helfen. Und genau so arbeiten wir an der Verdrängung, wir beweisen uns, dass wir gut sind. Oder wir informieren uns über den Kriegsverlauf, denn wir Schweizer verstehen ja alle etwas davon, von Waffen, Taktiken. Auch darin steckt die Rettung vor uns selbst – doch wer den Krieg verstehen will, macht sich ‘mitschuldig’, denn: können wir das Grauen überhaupt verstehen? Nein! Ist es für uns zu fassen? Nicht mal wer von einer Kugel getroffen wird, wird es ‘fassen’ können – es ist was geschehen, doch was? Oder warum spielt in einem ‘Kriegsfilm’, zum Beispiel Der längste Tag, (soeben wieder verfilmt und prämiert) bombastische Musik, während Schiffsladungen von Soldaten, Menschen(!), verrecken? Wohingegen  wir doch wüssten, dass das Sterben meist lautlos ist und wenn wir’s feststellen bereits vorbei – und so elend beiläufig. Ohne Orchester! Oder warum stirbt in einem typischen US-Kriminalfilm oft der liebenswürdige schwarze Partner des Helden? Wir sind doch keine Rassisten! Wir haben viele Möglichkeiten uns selber zu täuschen, wie auch ein Beispiel Nietzsches zeigt:

Almosen werden nicht aus Mitleid gegeben.
Würden Almosen aus Mitleid gegeben, wären alle Bettler verhungert.

 
Wie weiter?
Lange her, da sagte mir ein Psychoanalytiker – es war noch zu Zeiten des kalten Krieges, mit der Angst vor einem Atomkrieg: Es ist mir nicht möglich, mir  einen Atomkrieg vorzustellen. Wenn dann aber die ganze Familie im Luftschutzbunker hockt, kann ich mir vorstellen, dass nach drei Wochen wir beginnen, einander totzuschlagen.

Wie weiterleben, wenn wir wissen um unsere Grausamkeit und sie gleichzeitig nicht wissen? Diese zwei Wissen über uns und um uns! Und darüber die Zweifel, dass unsere Barmherzigkeit Trug sein könnte und die Wohltätigkeiten unsere Selbstgefälligkeiten?

Natürlich wissen wir, dass wir sterben müssen  – doch Freud schrieb Im Unbewussten ist aber nichts vorhanden, was unserem Begriff der Lebensvernichtung Inhalt geben kann [...]; etwas dem Tod Ähnliches ist aber nie erlebt worden oder hat wie die Ohnmacht keine nachweisbare Spur hinterlassen.  5.) Diesen zwei Wissen ist nicht zu entkommen und wir müssen uns festkrallen an unserem Verstand und müss(t)en uns damit begnügen, hin und wieder von einem Traum geweckt zu werden oder einem Symptom zu begegnen, vielleicht gar mit einer aufkommenden Scham, die es aber dann gleich zu überstimmen gilt.
Grausamkeit ist. Weder Argumenten noch Ethik unterworfen – dem müssen wir uns beugen. Freud hat versucht, dem Menschen ein Recht auf Leben, ein Recht auf sein eigenes Leben zuzusprechen und Derrida ist ihm gefolgt, mit der Frage, wie Institutionen, Staaten dem folgen könnten, was auch hiesse, auf Macht zu verzichten, dem Einzelnen sein Recht auf sein eigenes Leben zu garantieren. Selbstverständlich schlösse dies auch ein, die Todesstrafe abzuschaffen – und eben gegenwärtig wird sie vermehrt gefordert. 6.)

Und nun?
Wir wissen um unsere Grausamkeit, aber wissen sie nicht – wir wissen um unsere Sterblichkeit, aber nichts von unserem Tod. Wir sind ihm unterworfen, dem Teil, den wir nicht wissen, aber auch – oder gar – den wir sind.
Diesen Kränkungen, können wir wenig entgegensetzen. Und wir schaffen Kultur und zerstören sie.

Während ich einen Ausweg aus dieser elenden Ausweglosigkeit zu schreiben versuche, mein Schreiben scheitert, höre ich  den actus tragicus, die Kantate Gottes Zeit ist die allerbeste Zeit , mit dem Refrain, dass wir sterben müssen. 7.) Doch im Unbewussten ist kein Gott und vielleicht zu beneiden sind die Menschen, die einen Gott haben.

So bleibt die Demütigung, unterworfen zu sein, uns oder dem was wir (auch) sind, unserem Denken, das keine Ruhe geben soll, dass wir Subjekt sind durch Sprache (Subjekt – unterworfen!). Es bliebe die Demut, nicht aber als Unterwerfung unter eine Macht (oder einen Gott), sondern hinnehmen, nicht zu wissen um eben deswegen weiter zu denken.

Zum Schluss seines Briefes an Einstein schreibt Freud
Alles, was die Kulturentwicklung fördert, arbeitet auch gegen den Krieg.

Vielleicht.
e.a.


1) – INTERNATIONALES INSTITUT FÜR GEISTIGE ZUSAMMENARBEIT
          2, RUE MONPENSIERE - PALAIS ROYAL - PARIS 1933
2)  – 3. FN - 3 S.576
3) – 3. F.N. V. S.302
4) – 3. F.N. III.  S.592
5) – Sigmund Freud, Bd. 6., S.71 ff.
6) – Jacoues Derrida, Seelenstände der Psychoanalyse. Suhrkamp, F’furt .a.M. 2002
7) – BWV 106, von Joshua Rifkin




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